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Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können.
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19 – Die Ehe auf Abbruch

Nr.: 19
Veröffentlichung: 26. Oktober 2021
Erscheinungsweise: alle 2 Wochen
Seitanzahl: 100
Autor: Leni Behrendt
Artikel-Nr.: 9783740986322
Die Morgensonne spiegelte sich in der Kristallvase, daß sie funkelte und sprühte, sie überflutete die Rosen, die in ihr dufteten, huschte über die Gedecke und schien überhaupt eifrig bemüht zu sein, das ganze Gemach mit ihren goldenen Strahlen zu durchdringen. Die beiden Menschen, die ihr Frühstück beendet hatten, griffen nun nach den Briefen, die der Diener neben die Gedecke gelegt hatte. Wohltuend empfanden sie dabei die Stille, die nur von dem geruhsamen Tick-Tack der Standuhr, dem Summen der Kaffeemaschine und den Schnarchtönen des Dackels Schalk, der auf einem weichen Sessel sein Schläfchen hielt, unterbrochen wurde. Lächelnd las Gräfin Liane den Brief, der von einer Freundin stammte. Man sah der Dame ihre fünfundvierzig Jahre nicht an, obgleich das dunkelblonde Haar bereits von Silberfäden durchwoben war. Es machten wohl das feine, faltenlose Antlitz und die märchenhaft schlanke Figur, die diese Frau so jung und immer noch schön erscheinen ließen. Jedenfalls war Harro Regglin sehr stolz auf seine Stiefmutter, die es wiederum auf ihren großen Jungen sein konnte. Denn er verfügte über eine blendende Erscheinung, der er die Gunst der Damenwelt zu verdanken hatte. Trotz seiner spöttischen, arroganten Art himmelten Frauen und Mädchen ihn an, der gern mit ihnen flirtete, aber doch stets der vornehme, guterzogene Kavalier blieb, was mancher Weiblichkeit nicht immer recht war. Jedenfalls war Harro Regglin, dessen ungewöhnliche Persönlichkeit außerdem noch die Gloriole des Reichtums umwob, der begehrteste Mann im Umkreis. Mochte er die Bemühungen der Damenwelt um ihn auch noch so ironisch belächeln, gerade das machte ihn in ihren Augen so außerordentlich interessant. Auch jetzt, beim Lesen des Briefes, stand wieder das berühmte Lächeln in dem schmalen, rassigen Antlitz, über dessen linke Wange sich eine Säbelnarbe zog, die Feindeshand im heißen Ringen des ersten Weltkrieges ihm geschlagen hatte. Die Hand mit den beiden kostbaren Ringen hielt das Briefblatt, mit der anderen fuhr er sich durch das blonde leichtgewellte Haar. Dann sah er zu seiner Mutter hin. Es waren Augen von kaltem Grau, deren Blick nicht jeder Mensch ruhig ertragen konnte, hauptsächlich dann nicht, wenn sie Verachtung widerspiegelten wie eben jetzt. Die sonore Stimme des Mannes durchbrach die Stille: »Darf ich dich einmal stören, Mutti?« »Gewiß, mein Junge.« »Dann lies – und bleibe deiner Sinne Meister«, lächelte er ironisch und öffnete dann gleichmütig ein anderes Schreiben, während die Gräfin das ihr Gereichte hastig überflog. Erschrocken war der Blick, der dann zu dem Sohn hinging, der so interessiert seinen Brief las, als ginge der in der Mutter Händen ihn gar nichts an.

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