
439 – Ich gehöre zu Tante Line
Helle Sonnenstrahlen vergoldeten das zarte grüne Laub der Zitterpappeln und Erlen, die das Ufer des Waldsees säumten. Schimmernde Reflexe tanzten über die von einer sanften Brise leicht gekräuselte Wasseroberfläche. Es war ein herrlicher Maitag, nicht zu heiß, aber doch so warm, dass er die kommenden Sommertage bereits ankündigte.
Die Kinder von Sophienlust hatten nach dem Mittagessen ihre Badesachen in fliegender Eile zusammengesucht und waren mit Regine Nielsen, der Kinder- und Krankenschwester, an den See gepilgert. Am Badeplatz hatten sie Dominik von Wellentin-Schoenecker und seinen jüngeren Halbbruder Henrik angetroffen.
Nach einer lautstarken Begrüßung zog Nick – wie Dominik allgemein gerufen wurde – sich in den Schatten zurück, sehr zur Enttäuschung der anderen Kinder.
»Nick! Du hast mir versprochen, dass du mir heute Kunststücke mit dem Surfbrett vorführst«, mahnte Heidi Holsten, eines der jüngsten Kinder. Ihre hellblonden, über den Ohren zu zwei Schwänzchen gebändigten Haare wippten bei jeder Kopfbewegung lustig auf und ab, ihre tiefblauen Augen blickten den großen Jungen herausfordernd an.
Nick seufzte. »Ich würde mein Versprechen ja gerne einhalten«, erwiderte er. »Aber erstens ist heute zu wenig Wind, und zweitens muss ich mich mit meinem Mathebuch beschäftigen.«
»Warum?«, fragte Heidi und riss ihre Augen noch eine Spur weiter auf.
»Weil wir übermorgen eine wichtige Mathearbeit schreiben«, erklärte Nick geduldig. »Wir dürfen unsere Formelsammlung nicht verwenden. Ich muss also die blöden Formeln alle auswendig lernen.«