101 – Prinzessin Rubinchen
Spiegelglatt war die Eisfläche, auf der ein zierliches kleines Mädchen graziös dahinschwebte. Ganz allein war es, und es sah winzig aus.
»Mach jetzt endlich ein paar Sprünge, Ruth«, rief eine helle Frauenstimme.
Das Kind blieb stehen. Wenn Tante Lilo sie »Ruth« rief, war sie nicht zufrieden. Wenn sie »Sabine« sagte, drückte das Lob aus.
Das kleine Mädchen hieß Ruth-Sabine Campen, und von ihrem Daddy wurde sie Rubinchen genannt. Sie vermisste den zärtlichen Kosenamen ebenso wie ihren Daddy selbst, der in der Türkei eine Maschinenfabrik leiten musste und sie in der Obhut von Tante Lilo zurückgelassen hatte.
»Na, wird es bald«, rief Tante Lilo ungehalten.
Rubinchen lief mit gleitenden Schritten auf die pelzvermummte Gestalt zu, die am Rand der Eisfläche stand.
»Es ist so kalt, Tante Lilo«, sagte sie. »Ich friere.«
»Stell dich nicht so an. Du weißt genau, dass wir nur früh am Morgen so viel Platz haben. Wenn du dich mehr bewegst, wird es dir schon warm werden.«
Rubinchen schlugen die Zähne aufeinander, aber sie wusste genau, dass sie von Tante Lilo, die vom Ehrgeiz besessen war, ihre Nichte zu einer Eisprinzessin zu machen, kein Verständnis erwarten konnte.
Rubinchen hatte frühzeitig Schlittschuhlaufen gelernt und sich als sehr talentiert erwiesen. Mit Daddy hatte es ihr auch viel Spaß gemacht. Sie überlegte kurz, ob Daddy wohl einverstanden wäre, wenn er wüsste, dass sie so hart trainiert wurde.
Was Training bedeutete, hatte Lilo ihr hinreichend erklärt. Rubinchen hatte einen langen Vortrag darüber zu hören bekommen, nachdem ein fremder Mann, den sie grässlich fand, zu Tante Lilo gesagt hatte, dass sie ein Naturtalent