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Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können.
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64 – Wilde Rose

Nr.: 64
Veröffentlichung: 11. Juli 2023
Erscheinungsweise: alle 2 Wochen
Seitanzahl: 100
Autor: Leni Behrendt
Artikel-Nr.: 9783989360679
Draußen tobte der Novembersturm in all seinem Getöse, doch in dem Schlafgemach des Schloßherrn von Brandungen herrschte eine Stille, die an Herz und Nerven zerrte. Reglos lag der Herr des feudalen Besitzes auf seinem Krankenlager, scharf beobachtet von dem geübten Auge des Arztes, der am Fußende des Bettes saß. An dessen Seite kauerte die Tochter des Kranken, ein blutjunges Menschenkind, das heute seinen neunzehnten Geburtstag beging. Das goldflimmernde Köpfchen lag müde auf der treuen Vaterhand, die Augen, so leuchtend blau wie das Meer im Sonnenschein, das tief unter dem Schloß brandete, hatte der Schlaf nun endlich übermannt. Mit einem Gefühl der Rührung schaute der »gute Onkel Doktor«, der die kleine Rosita vom ersten Schrei an kannte, auf die Schlafende, die ihm ans Herz gewachsen war, als wäre sie sein eigen Fleisch und Blut. Geschäftig tickte die alte Uhr auf dem Kaminsims, draußen trommelte der Regen gegen die Scheiben, der Sturm riß an den Jalousien und ließ die Fahne auf dem Turm knattern. »Detlef, wo bleibt er?« kam es unendlich müde von den zersprungenen Lippen des Kranken, wie diese Frage schon oft gestellt wurde, nachdem der Kranke wieder bei Besinnung war. »Er muß jeden Augenblick hier sein.« »Herr Doktor, glauben Sie wirklich daran?« »Dann will auch ich es tun, wenn nur das Warten nicht so entsetzlich schwer wäre.« O ja, es war schwer, dieses zermürbende Warten, das konnte der Arzt nur bestätigen, der zwölf Tage und Nächte lang um das Leben rang, das mehr als einmal zu verlöschen drohte. Aber was half all sein Wissen, seine langjährige Erfahrung, wenn die rechte Medizin nicht zur Stelle war. Und diese Medizin hieß Detlef Trutzger. Sorgenvoll schaute der Arzt auf den Kranken, der jetzt wieder so regungslos dalag, als wäre kein Leben mehr in ihm – und auf die schlafende Rosita, die der Vater zärtlich »Wilde Rose« nannte. Doch dann horchte der wachsame Hüter auf. Narrte ihn sein geschärftes Ohr, oder klang wirklich die Hupe eines Autos durch den tosenden Sturm? Leise erhob der Mann sich, warf einen forschenden Blick auf den Kranken und seine fest schlafende Tochter, dann ging er vorsichtig aus dem Zimmer.

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