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Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle.
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57 – Der singende Turm

Nr.: 57
Veröffentlichung: 7. März 2015
Erscheinungsweise: jede Woche
Seitanzahl: 100
Autor: Jessica London
Artikel-Nr.: 9783959791922
Er überwand seine Scheu vor der offenen Tür, erstieg die Holzleiter und fand Eva ohnmächtig am Boden liegen. Er kniete neben ihr nieder und schob seine Hand unter ihren Kopf, mit dem sie ziemlich hart aufgeschlagen sein mußte. Erst jetzt wagte er einen scheuen Blick in das Innere des Turmes. Von oben fiel ein kreisrunder Lichtkegel auf den steinigen Boden. Neben einem menschlichen Skelett lag dort eine Geige, deren Holz noch immer von einem matten braunen Glanz überzogen war und deren Saiten sich straff spannten, als wäre sie gerade frisch gestimmt worden. Es dämmerte bereits. Das machte die Nebelfetzen, die schon wieder um den offenen Turm flatterten, noch gespenstischer. Eva hielt für eine Weile in der Arbeit inne und sah beklommen hinauf zum Schloß Hassloh. Die dunklen Vögel, die um den zweiten Turm kreisten, der sich schlank und hübsch mit seinem spitzen Dach in den Abendhimmel erhob, nahmen ihr die Angst auch nicht. Sicher waren es nur friedliche, harmlose Tauben, die ihren Abendreigen tanzten, aber im schwachen Licht des scheidenden Tages wurden sie zu unheilverkündenden Krähen, die wie Wachhunde des Himmels darüber bestimmten, wer sich dem Schloß nähern durfte und wer nicht. Aber wer ging schon freiwillig hinauf nach Hassloh: Und diejenigen, die oben ihren Dienst taten, wurden im Dorf verehrt wie Helden. Ein Windstoß bauschte Evas Rock aus braunrotem Nesselstoff und schüttelte derb die Bäume am Rand der Waldwiese, auf der das Mädchen eine Fuhre frischen Grases zusammenrechte. Furchtsam lauschte es auf das Summen des Windes. Er kam von Südosten. Jeder im Dorf wußte, was das bedeutete. Verschärfte er sich, dann war es zu hören, dieses Geräusch, das einem das Blut in den Adern gefrieren ließ. Es kam aus dem offenen Turm von Hassloh. Sollte lachen, wer wollte, aber bei Ostwind begann der dicke Turm, dem man dereinst beim Bau kein Dach aufgesetzt hatte, zu singen. Es war kein schönes Lied, das vom Hügel herabgetragen wurde und seine schaurige Melodie über den armseligen Häusern aushauchte. Von Tod und Pein erzählte es und von einer armen Seele, die gefangengehalten wird und sich zu befreien sucht.

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