
28 – Im Schloß des Schreckens
Die Schloßhalle mit den hohen Spitzbogenfenstern lag im schummrigen Halbdunkel. Vorsichtig das Tablett mit dem Teegeschirr und den köstlich duftenden Plätzchen vor sich hertragend, erklomm Ilonka die steinernen Stufen. Nach den aufregenden Ereignissen spürte sie plötzlich eine lähmende Müdigkeit. An einem Treppenabsatz setzte sie das Tablett auf einem flachen Sockel ab, um sich für einen Augenblick auszuruhen. Dabei glitt ihr Blick nach oben. Sie zuckte zusammen. Auf der Empore bewegte sich eine lichte Gestalt in einem langen, fließenden Gewand. Das Gesicht war nicht zu erkennen. Es wurde von einem dichten Schleier verhüllt. Die weiße Frau? Dieselbe Erscheinung, die ihr Vater zu sehen glaubte, bevor er seinen Gehirnschlag erlitt?
»Ihren Reisepaß und Fahrtausweis, bitteschön!« sagte der österreichische Zugkontrolleur, bevor der Orient-Express die Grenzstation erreichte, wo das Zugpersonal turnusmäßig wechselte.
Der Beamte mußte seine Aufforderung wiederholen, bevor das junge Mädchen, das allein in einem Erster-Klasse-Abteil saß, aus seinen Gedanken hochfuhr.
Verwirrt zog Ilonka von Allmassy die gewünschten Reisepapiere aus ihrer Handtasche und überreichte sie dem Mann in der blauen Uniform.
»Können Sie mir sagen, wie lange man braucht, um von Budapest nach Varazdin zu gelangen?« fragte sie schüchtern.
»So an die fünf Stunden mit dem Regionalzug müssen Sie schon rechnen, Komteß«, sagte der Kontrolleur, der aus ihrem Reisepaß entnommen hatte, daß die wirklich hübsche zierliche Brünette eine Grafentochter war. Mit einer ganz kleinen Verbeugung, wie man es hohen Herrschaften wohl schuldig ist, verließ er dann wieder das Abteil.
Ilonka war sichtlich nervös, und das hing mit ihrem schlechten Gewissen zusammen.
Sie war heimlich aus dem vornehmen Mädchenpensionat von Madame