
7 – Der Tote kam später
Es war an einem Abend im späten April. Die Luft, die vom Michigan durch die Straßenschluchten wehte, war weich und brachte den Geruch des Wassers mit. In tiefem Samtblau spannte sich der Nachthimmel über das Land. Er hatte fast schon etwas von der Farbe der Sommernächte. Myriaden von Sternen sandten ihr Licht auf die schimmernde Erde. Man hätte meinen können, es sei eine Nacht, die für die Liebe wie geschaffen sein müßte.
Joe Carbeeter dachte anders. Er lehnte im düsteren Hausflur eines Mietshauses in der Ohio Street unten in Downtown und beobachtete durch ein Flurfenster das gegenüberliegende Gebäude.
Es war ein Einzelhaus, das aus jener Zeit stammt, in der Chicago noch keine Wolkenkratzer kannte. Es war nur zweigeschossig und bot damit ein Bild, das an das vergangene Jahrhundert erinnerte. Unten war ein kleines Lebensmittelgeschäft, dessen Lichter längst erloschen waren. Im Obergeschoß brannte noch in einem Fenster Licht.
Der Mann, der in dem gegenüberliegenden Haus zwischen der siebten und achten Etage im Korridor stand und durch das Flurfenster starrte, hatte ein fast weiches Gesicht, eine Profillinie, die einer Frau hätte gehören können. Joe Carbeeter trug einen Hut mit scharfen Kniffen und einen dunklen Regenmantel, dessen Kragen hochgeschlagen war. Einunddreißig Jahre war er alt und hatte es so weit gebracht, daß er jetzt in dieser Frühlingsnacht hier an einem Hochhausfenster in einem düsteren Korridor stand und einen Coup ausbaldowerte. Früher einmal, da hatte er das Leben mit beiden Händen angepackt, hatte sich mit einer Begeisterung hineingestürzt, die fast zu groß war. Dann hatte den Neunzehnjährigen, der in einer Autoschlosserei arbeitete, eine schwere Krankheit gepackt und zurückgeworfen. Ein unkluger, lebensunerfahrener Arzt hatte ihm einmal zu oft eine Morphiumspritze gegeben; von jener Stunde an war Joe Carbeeter für dieses Leben verloren. Seit er aus dem Krankenhaus entlassen war, hatte er alles daran gesetzt, sich in den Besitz von Morphium zu bringen. Das war natürlich auf großen Widerstand gestoßen, und er wurde von seinen Eltern in ein Heim gesteckt, wo er eine Entziehungskur machen mußte.