
442 – Schatten über Hubertusbrunn
Händchen haltend stiegen Rainer Lambert und Nelly Knodt den steilen Weg empor, der von dem Jagdschloss Hubertusbrunn aus den Berg hinauf führte und ziemlich beschwerlich war. Aber Lukas Berger, der im Jagdschloss die Jugendlichen betreute, hatte ihnen von dort oben aus einen überwältigenden Blick über das ganze Wachnertal versprochen.
Rainer und Nelly waren am Tag zuvor mit ihrer Schulklasse nach Hubertusbrunn gekommen. Es war ihre Schulabschlussfahrt, als deren Ziel die beliebte Jugendbegegnungsstätte im Jagdschloss ausgewählt worden war.
Der Weg den Berg hinauf brachte die beiden Abiturienten zum Schwitzen. Es war noch immer sehr warm, obwohl die Sonne schon weit im Westen stand und innerhalb der nächsten Stunde untergehen würde. Und obwohl sie beide nicht gerade unsportlich waren, mussten sie von Zeit zu Zeit anhielten, um zu verschnaufen.
Wieder einmal hielten sie an und ließen die Blicke schweifen. »Schau nur, gigantisch, geradezu majestätisch«, flüsterte das hübsche, blondhaarige Mädchen mit den tiefgründigen blauen Augen ergriffen.
»Stimmt«, pflichtete er ihr bei. Er war etwa eins achtzig groß und hatte dunkle, leicht gelockte Haare. Seine Augen waren von brauner Farbe, und wenn er Nelly anschaute, sah sie in ihnen nur Wärme und – Liebe.
Ja, Nelly und Rainer hatten sich schon vor längerer Zeit ineinander verliebt. Allerdings gab es dabei ein Problem. Nellys Eltern waren angesehene Rechtsanwälte, die in München, eine große Kanzlei betrieben, und Rainer war der Sohn einer geschiedenen, also alleinerziehenden Frau, die bei einer Spedition als kaufmännische Angestellte beschäftigt und daher ganz und gar nicht ›standesgemäß‹ war.
Nelly hatte sich jedoch über den Standesdünkel ihrer Eltern hinweggesetzt.