
414 – Kann ich dir vertrauen?
Viktoria Brunner stand auf dem Bahnsteig und sah sich neugierig um. Die anderen Reisenden strebten längst dem Ausgang zu. Die junge Frau packte ihre Reisetasche und folgte ihnen. Draußen auf dem Bahnhofsvorplatz kam ein wenig Erinnerung zurück. In der Kreisstadt hatte sich nicht viel verändert und Vicki fragte sich, wie es wohl in St. Johann aussehen werde.
Der Bus hielt immer noch auf der anderen Straßenseite. Der Fahrplan verkündete, daß der nächste in einer Viertelstunde abfuhr. Die Reisende setzte sich auf eine Bank in der Nähe und wappnete sich mit Geduld. Immerhin war sie seit dem Vormittag unterwegs, da waren ein paar Minuten mehr oder weniger eigentlich egal.
Was Onkel Hans wohl sagen würde? Der Bruder ihres verstorbenen Vaters ahnte ja nicht, daß die Nichte ihn zu seinem sechzigsten Geburtstag besuchen wollte. Na, der würde bestimmt Augen machen!
Für Vicki war es aber nicht nur die Überraschung, auf die sie sich freute. Vielmehr war der Besuch in der alten Heimat auch eine Reise in die eigene Vergangenheit. Fünfzehn Jahre waren es her, daß ihre Eltern das kleine Alpendorf verließen, weil der Vater eine neue Stellung als Verkaufsdirektor einer Lederwarenfabrik übernehmen konnte. Sie selber war damals noch ein Kind gewesen, gerade mal erst zehn Jahre alt. Vieles hatte sie vergessen, doch Vicki erinnerte sich noch gut an den Tag, an dem sie, an der Hand der Mutter, auf diesem Bahnhof den Zug nach München bestiegen hatte. Von dort aus ging es weiter nach Frankfurt, wo die Eltern ein Haus gekauft hatten. Die Fabrik, in der der Vater arbeitete, befand sich in Offenbach.