
182 – Kann unsere Liebe Sünde sein?
Als Daniela Bernreiter an diesem kühlen, regnerischen Herbsttag aus dem Büro heimkehrte, sah sie gerade noch einen ihr wohlbekannten Wagen davonfahren. Er gehörte Dr. Daniel Norden.
Daniela lief eilends den Gartenweg zu der hübschen kleinen Villa hinauf, die an einem leichten Hang lag, und ihre Hand zitterte, als sie die Tür aufschloß.
»Tante Winni«, rief sie ängstlich, »wo bist du?«
Die alte Dame erschien in der Küchentür. »Hier bin ich, warum regst du dich auf, Kindchen?«
»Weil ich Dr. Nordens Wagen gesehen habe. Ich dachte, dir fehlt etwas.«
»Beruhige dich, Kleines«, erwiderte Winni Bernreiter gütig. »Er wird nebenan gewesen sein, bei Möbius. Die junge Frau ist wieder mal zu Hause.«
Daniela wohnte erst zwei Wochen bei ihrer Großtante und kannte die Nachbarn noch nicht. Winni Bernreiter sprach auch nicht von ihnen. Daniela war jung, hübsch und gesund, die alte Dame glücklich, sie jetzt bei sich zu haben. Sie war nie verheiratet gewesen, und sie hatte schon ihr ganzes Herz an ihren einzigen Neffen, Danielas Vater, gehängt gehabt, doch der war vor zehn Jahren mit seiner Frau und der damals dreizehnjährigen Daniela ins Ausland gegangen, als ihm eine glänzende Stellung als Chefingenieur geboten wurde. Briefe waren getauscht worden, der Kontakt war nie abgerissen, und vor allem Daniela, die an der lieben Großtante hing, hatte eifrig geschrieben. Ein paarmal hatte Winni Bernreiter auch die einzigen Verwandten, die ihr noch geblieben waren besucht. In Stockholm, dann in Amerika, doch dann war Danielas Mutter gestorben und Heinz Bernreiter hatte sich schnell entschlossen, den Ruf an ein Forschungszentrum in Japan anzunehmen.