
172 – Sag mir, wer ich bin
Schwester Henrike verabschiedete sich von Dr. Jenny Behnisch, da sie nun endlich mal einen wohlverdienten Urlaub antreten sollte.
»Passen Sie nur gut auf sich auf, Henrike«, sagte die Ärztin, »und auch auf den Geldbeutel.«
»Ich fahre doch zu meiner Freundin«, erwiderte die hübsche Henrike. »Allein wäre es mir schon ein bißchen bange und auch zu langweilig. Und verloren gehen werde ich schon nicht. Bis Ventimiglia habe ich einen durchgehenden Zug, und dort werde ich abgeholt.«
Aber ein bißchen aufgeregt war sie doch, denn es war ihre erste weite Reise, und sie war gerade einundzwanzig Jahre geworden.
»Und wenn Sie faul am Strand in der Sonne liegen, denken Sie mal an uns und schreiben eine Karte«, sagte Jenny Behnisch lächelnd. »Erholen Sie sich gut, Henrike. Wir werden Sie vermissen.«
Das Mädchen errötete. »Ich komme ja gern zurück, Frau Doktor.«
Henrike gehörte zu jenen jungen Menschen, die keine schöne Kindheit und Jugend hatten. Ihre Eltern hatten sich scheiden lassen, als sie sechs Jahre alt war, ihre Mutter hatte das Sorgerecht bekommen und lebte mit einem anderen Mann zusammen. Der Vater war ausgewandert und hatte nichts mehr von sich hören lassen. Zeitweise hatte Henrike bei der Großmutter gelebt, und die hatte es auch ermöglicht, daß sie sich zur Krankenschwester hatte ausbilden lassen können, während die Mutter es lieber gesehen hätte, wenn sie als Bedienung in dem Restaurant ihres Partners gearbeitet hätte. Aber das wäre für Henrike nun gewiß nicht das Richtige gewesen. Sie war überglücklich, als sie die Stellung in der Behnisch-Klinik bekam, ein hübsches Appartement im Schwesternhaus und