
31 – Dich trifft keine Schuld, Andreas
Es kam nicht oft vor, daß Dr. Norden zur Familie Reichert gerufen wurde, und wenn es der Fall war, wußte er, daß es dringend war. Wenn einem Familienmitglied sonst etwas fehlte, wurde er in der Praxis aufgesucht.
Es war eine Familie ganz nach seinem Geschmack. Der Oberingenieur Jochen Reichert war ein tüchtiger Mann und ein vorbildlicher Vater, seine Frau Nanette eine jugendliche, hübsche und fröhliche Mutter, und beide zusammen waren auch nach gut zwanzig Ehejahren noch immer ein glückliches Paar. Auch mit ihren beiden Kindern gab es keine Sorgen. Andreas, der vor ein paar Monaten achtzehn geworden war und auf das Abitur zusteuerte, gehörte zu den Besten seiner Klasse, und Sabine, die Siebzehnjährige, war ein bildhübsches Mädchen, dem jetzt schon die Männer nachschauten. Doch sie machte sich nichts daraus. Ihre Liebe gehörte den Pferden und Hunden, und wenn auch Jochen Reichert nicht so betucht war, daß er seiner Tochter ein Pferd kaufen konnte, so hatte er ihr doch gestattet, Reitstunden zu nehmen. Aber einen Hund hatte Sabine vor zwei Jahren ins Haus gebracht. Da hatte es schon Dispute gegeben, denn gerade waren neue Teppichböden gelegt worden, und obgleich Frau Reichert nicht pingelig war, auf Sauberkeit legte sie doch großen Wert.
Doch der Poppel hatte sich eingeschmeichelt. Niemand konnte seinen treuen, feuchten Hundeaugen widerstehen, die so lieb betteln konnten. Hatten die Eltern zuerst auch gesagt, daß Sabine allein für Poppel verantwortlich wäre, so hatte sich das sehr schnell geändert. Jetzt folgte er in erster Linie dem Herrn des Hauses, und es konnte schon passieren, daß er weinte wie ein Baby, wenn das Herrchen mal nicht pünktlich nach Hause kam, was aber immer nur beruflich bedingt war.
Dr. Daniel Norden wurde von Poppel jedenfalls auch voll akzeptiert, und auch an diesem Tag begrüßte der besonders hübsche Mischling, dessen Abstammung niemand genau definieren konnte, den Arzt schon an der Gartentür.
Ein hübsches Haus bewohnten die Reicherts. Sie hatten es vor fünfzehn Jahren gebaut, als es ihnen finanziell noch nicht so gut ging, aber inzwischen war es schuldenfrei, und da es auf einem großen Grundstück stand, planten sie nun auch einen Anbau. Dr.