
151 – Eine unerklärliche Angst …
Wenn eine Patientin das erste Mal zu Dr. Leon Laurin kam, war sie ihm ein unbekanntes Wesen. Die meisten konnte er jedoch schnell in eine bestimmte Kategorie einordnen. Die einen waren die Schüchternen, Verklemmten, die von einer Verlegenheit in die andere fielen, weil der Gang zum Frauenarzt sie maßlose Überwindung kostete.
Die anderen, die Ängstlichen, die wussten, dass gewisse Symptome eine schwere Erkrankung bedeuten konnten. Da gab es die ganz Forschen, die aus Illustriertenberichten Eigendiagnosen stellten und dann gar nicht so leicht zu überzeugen waren, wenn diese nicht zutrafen. Und nicht zu vergessen, die ganz unbefangenen jungen Frauen, die nur bestätigt haben wollten, dass sie schwanger waren.
Vanessa Lauenstein konnte er keiner Kategorie zuordnen. Moni, seine Sekretärin, hatte die Personalien bereits aufgenommen. Die Patientin war sechsundzwanzig, verheiratet, wohnhaft in München.
Dr. Laurin betrachtete sie. Sie war etwas mehr als mittelgroß, schlank, feingliedrig, hatte ein ovales, leicht gebräuntes Gesicht, aschblondes lockiges langes Haar und topasfarbene Augen, die von einem Kranz dichter dunkler Wimpern umrahmt waren.
Die klassische Nase und der schöne Mund weckten in Dr. Laurin unwillkürlich das Gefühl, dass dieses Gesicht einen Bildhauer inspirieren müsste.
Später sollte er zu einer ganz anderen Erkenntnis kommen, nämlich zu der, dass chirurgische Künstlerhände diesem Gesicht die makellose Schönheit gegeben hätten. Diese Ahnung kam ihm, als er einige feine, fast unsichtbare Narben am Haaransatz und am Hals entdeckt hatte.
Seinem wachsamen Blick entging so schnell nichts, doch das Gesicht hatte er erst ganz genau betrachtet, als er bei der Untersuchung feststellte, dass der ebenfalls klassisch schön geformte Körper dieser Frau