
106 – Zur Lüge gezwungen
Geraldine Dahlberg feierte im Freundeskreis Abschied. Sie wollte für ein Jahr als Kunststudentin nach Paris gehen. Sie war ein nettes Mädchen, immer gut gelaunt und hilfsbereit. Jeder mochte sie. Sechs junge Männer waren anwesend und ebenso viele Mädchen.
»Du wirst uns doch nicht vergessen, Geraldine?«, fragte Heiner Kruse wehmütig.
»Bestimmt nicht«, erwiderte sie, »und ein Jahr dauert nicht ewig, dann bin ich ja wieder hier. Bin gespannt, ob sich dann nicht manches verändert hat. Vielleicht bin ich dann die Einzige, die noch Single ist.«
»Vielleicht verlierst du dein Herz in Paris«, meinte Kathrin Borck, die das dunkle Pedant zu Geraldines blonder Schönheit war. »Ich möchte zu gern Mäuschen spielen.«
»Da wirst du nicht viel erleben. Ich nehme mein Studium ernst, denn ich will bald fertig werden. Ich kann Mara nicht ewig auf der Tasche liegen.«
Mara, das war ihre Mutter, Martina Dahlberg, erst vierzig Jahre alt und bereits seit acht Jahren Witwe. Jochen Dahlberg hatte sein Hobby, die Fliegerei, das Leben gekostet. Er war mit seiner Privatmaschine bei Nebel in den Alpen abgestürzt. Allerdings wurde getuschelt, dass es Selbstmord war, weil seine Firma vor dem Konkurs stand und er seine Frau und Tochter durch die hohe Lebensversicherung versorgt wissen wollte.
Geraldine hatte heiße Tränen um ihren geliebten Vater vergossen und war froh, dass es keinen neuen Mann in Maras Leben gab. Wie sie auf Mara gekommen war, wusste keiner zu sagen, aber sie weigerte sich auch später strikt, Mama zu sagen.
Mutter und Tochter hatten ein inniges Verhältnis, und so dachte Geraldine auch an ihre Mara, als