
30 – Die Unbekannte am Bahnsteig
Die hübsche junge Frau trat zum zweiten Mal innerhalb einer knappen halben Stunde an den Empfangstresen der Landarztpraxis und schaute Gerti, die erfahrene langjährige Sprechstundenhilfe, mit großen haselnussfarbenen Augen an. »Bitte, Frau Fechner, dauert es noch lange, bis ich drankomme? Sie wissen doch, dass ich heute unbedingt zum Bahnhof muss!«
Gerti unterdrückte nur mühsam einen halb amüsierten, halb genervten Seufzer.
Die junge Patientin vibrierte vor Ungeduld, weil sie ihren Verlobten abholen wollte, der zur Hochzeit nach Bergmoosbach kam. Das hatte die junge Frau allen Anwesenden sehr ausführlich erzählt; ob es sie nun interessierte oder nicht, an dem munteren Geplauder der hübschen Blondine kam niemand vorbei.
»Frau Franzen«, antwortete Gerti höflich, »es ist jetzt früher Vormittag. Wenn ich mich recht erinnere, kommt ihr Verlobter heute Nachmittag mit dem Fünfzehn-Uhr-Zug an. Bis dahin haben Sie mehr als reichlich Zeit, selbst wenn der Doktor jetzt vor Ihnen einen Notfall behandelt!«
»Ja, das denkt man so!«, antwortete Theodora ›Teddy‹ Franzen aufgeregt. »Aber bis man mit allen Vorbereitungen fertig ist …, allein die Maniküre, und dann schauen Sie sich meine Haare an, das ist doch grauenhaft!« Teddy schüttelte ihre hellblond gefärbte Mähne, die sie anstelle ihrer natürlichen braunen Haarpracht trug. »Es müssen unbedingt noch helle Strähnchen dazwischen, und meine Augenbrauen sind doch der reinste Urwald, seit drei Tagen habe ich sie nicht mehr gezupft!«
Teddy war ein winziges Sternchen am Himmel der Internetschönheiten, sie stand am Anfang einer Karriere als Fotomodel und hoffte auf den ganz großen Erfolg. Schönheit oder vielmehr das, was sie unter Schönheit verstand, nahm in ihrem