
105 – Eine Frau zum Verlieben
Sebastian von Lessenfeld fühlte sich in seine Schulzeit zurückversetzt. Drei Augenpaare ruhten auf ihm, streng, wenn auch nicht ohne Wohlwollen. Dennoch war er sicher, dass er durchgefallen war. Sie hatten sich gegen ihn entschieden. Noch hatten sie nichts gesagt, noch war alles offen, aber er wusste es einfach: Sie hatten ihm seinen schärfsten Rivalen Joachim von Klasnitz vorgezogen. Als dieser wenige Minuten zuvor aus diesem Raum gekommen war, hatte ein siegesgewisses Lächeln auf seinen Lippen gelegen, und der Blick, mit dem er Sebastian im Vorübergehen gestreift hatte, war mitleidig und herablassend gewesen.
Mit einem Mal sehnte er sich danach, die Räume dieser ehrwürdigen Anwalts- und Notariatskanzlei zu verlassen. Hier hatte er arbeiten wollen und sich gute Chancen ausgerechnet, dass man ihn einstellen würde: Er hatte gute Noten, er konnte selbstsicher auftreten, und er hatte ein gewinnendes Wesen, was nicht nur für den Umgang mit Mandanten wichtig war, sondern auch vor Gericht.
Aber sie wollten ihn nicht. Er wusste es, bevor Beatrice von Plathen, die Notarin, den Mund aufmachte und zurückhaltend sagte: »Wir behalten uns eine endgültige Entscheidung vor, Herr von Lessenfeld. Es gibt nur noch zwei Bewerber in der engeren Wahl, Sie und Herrn von Klasnitz. Nächsten Samstag laden wir Sie beide zu einem Abendessen ein – Sie und Ihre jeweiligen Partnerinnen. Auch unsere Ehepartner werden dabei sein. Danach teilen wir Ihnen unsere Entscheidung mit.«
»Machen Sie etwas daraus!«, sagte Dr. Maximilian von Thun, und Dr. Philipp von Rethmann, der immer für die kleinen, spitzen Bemerkungen gut war, setzte hinzu: »Wenn Sie können.«
Mit